Graue und sandfarbene Hemden

Ein Freitagabend am Rottenburger Bahnhof. Eigentlich ist da nicht viel los. An diesem Tag sieht es etwas anders aus: Eine Gruppe Pfadfinder mit grauen Hemden steht da und wartet.
Dann ist der Zug da – und heraus kommt eine andere Pfadfindergruppe. Die haben aber sandfarbene Hemden. Jetzt gehen die beiden Gruppen aufeinander zu und vermischen sich zögernd nach und nach. Und am Ende geht immer einer von den Grauen mit einem von den Sandfarbenen nach Hause.
So oder so ähnlich wird es wohl ausgesehen haben, als wir am 25. Juli unsere tschechische Partnergruppe aus Hlinsko bei Prag begrüßten. Die nächsten 17 Tage würden die 12 Jungen und Mädchen zwischen 12 und 22 Jahren in Deutschland verbringen – in Rottenburger Gastfamilien und auf dem Landeslager. Eine internationale Begegnung ist immer auch ein Wagnis – auch für erfahrene Stämme.
Und so waren auch wir nicht frei von Sorgen. Würde wirklich alles klappen? Wir wurden leider „enttäuscht“: Es gab keine größeren Probleme. Die 17 Tage mit den Tschechen wurden zu einem einmaligen und wunderschönen Erlebnis. Es sollten 17 abwechslungsreiche Tage werden: Gleich am zweiten Tag erkundeten wir mit unseren Gästen den Bodensee. Wir besichtigten Konstanz, wo wir bei einer Stadtführung auf die tschechischen Aspekte in der Geschichte der Stadt aufmerksam gemacht worden. Hier wurde der tschechische Reformator Jan Hus hingerichtet. Anschließend fuhren wir zur Blumeninsel Mainau, wo einige die Gelegenheit eines spontanen Bads im Bodensee nützten. Der nächste Tag stand für die Gastfamilien zur freien Verfügung. Sie unternahmen Ausflüge, z.B. in einen Kletterpark, zu einem Kamelhof oder auf den Hohenzollern. Abends trafen sich aller wieder zum Grillen auf der Wurmlinger Kapelle, einem regionalen Wahrzeichen. Einige hielten bis spät in die Nacht hinein die Stellung am Feuer, wo gemeinsam gesungen wurde. Zum ersten Mal hörten wir hier auch das tschechische Schreispiel, das sich dann später auf dem Landeslager zum Renner entwickeln sollte und das vielleicht auch einige von euch kennen... Am Montag präsentierten wir unseren Gästen Rottenburg – eine Stadtführung führte sie zu den wichtigsten Sehenswürdigkeiten, unser Oberbürgermeister empfing sie im Rathaus und anschließend konnten sich alle im Freibad abkühlen. Am Dienstag starteten wir in kleinen Gruppen auf Hajks, deren Ziel der Schachen war. Die Routen führten an landschaftlichen Höhepunkten der Schwäbischen Alb vorbei und zeigten unseren Gästen (und uns) Höhlen, Burgen und das Landesgestüt in Marbach, wo eine Hajkgruppe sogar dank drohendem Unwetter ihr Nachtquartier bezog. Glücklicherweise überstanden alle Gruppen die Nacht trocken in für Hajkumstände sehr luxuriösen Unterschlüpfen.
Die Hajks waren sicherlich gut zum näheren Kennen lernen und zum Verbessern der Kommunikation zwischen uns und den Tschechen.

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Ab Mittwoch dann also das Landeslager samt Big Inca, dem Lama sowie Inti und Suyo. In Tschechien gibt es nicht viele Großlager und die meisten unserer Gäste hatten noch nie an einem teilgenommen, so dass es für sie viele neue Eindrücke zu sammeln gab. Die – wirklich gut gelungenen – Großbühnenshows beeindruckten sie sehr. Bald wurde jedoch deutlich, dass unsere Gäste von ihren Lagern in Tschechien viel mehr Programm gewohnt sind und sich hier nun manchmal regelrecht langweilten. So sorgten wir für eigenes Programm: Die gemeinsamen Spielenachmittage werden noch so manchem in guter Erinnerung sein, ebenso der Singabend mit den Albstädtern und den Drusen. Und auch die Spielerunde mit den Norwegern und ihren Partnern aus Heilbronn war ein schönes Erlebnis.
Höhepunkt war zweifelsohne unser stammesinternes Sonnen-Vorfest mit Schamanengegröle (unsere Nachbarstämme schienen entgeistert ) und abschließendem Nachtgeländespiel, dass die Tschechen sich gewünscht und vorbereitet hatten.
Schön war auch der Ausflug mit allen internationalen Gästen nach Stuttgart (mit Besichtigung von Daimler-Museum, Killesberg-Park und Innenstadt) – danke noch einmal an das internationale Team für Alles!
Bei diesem Programm vergingen die Lagertage wie im Flug. Sie hatten unsere Gemeinschaft mit den Tschechen noch mehr gefestigt. Zum ersten Mal hatten wir in diesem Jahr in international gemischten Zelten geschlafen. Das „Experiment“ war gut gelaufen.
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Nach dem Landeslager blieben die Tschechen noch für drei Tage bei uns: Am Samstag besichtigten wir Tübingen, wo eine Stocherkahnfahrt auf dem Neckar auch für eine Wasserpistolenschlacht genützt wurde.
Abends fand ein ökumenischer und zweisprachiger Gottesdienst zum Abschluss der Begegnung statt. In den Gottesdienst sollten wir ein Symbol unserer Verbundenheit mitbringen und der Gemeinde präsentieren. Lange hatten wir überlegt, was sich da am Besten eignen würde. Schließlich baten wir alle deutschen und tschechischen Pfadis nach vorne. Es bot sich ein schönes Bild: Alle tschechischen Pfadfinder standen im blauen Halstuch da, und fast alle von uns hatten ein tschechisches Halstuch an.
Nach dem Gottesdienst feierten wir ein großes Abschiedsfest. Viel Wehmut kam zum Abschied auf - neue Freundschaften waren geschlossen worden und viele Tage voller neuer Erfahrungen und Erlebnisse lagen sowohl hinter den Tschechen als auch hinter uns Rottenburgern. Am nächsten Morgen entfernten sich die in den sandfarbenen Hemden am Rottenburger Bahnhof von denen in den grauen Hemden und stiegen in den Zug Richtung Tübingen. Aber vielleicht werden die „Grauen“ nächstes Jahr hinterher fahren.
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Was bringt eine internationale Begegnung mit sich? Spaß. Momente der Improvisation. Hoffentlich Freundschaften. Schwarzzelt-Erklär-Aktionen. Entdecken anderer Kulturen und Nationen – und auch der eigenen.
Wir jedenfalls hatten viel über die gemeinsame deutsch-tschechische Geschichte gelernt – die oft ein gutes Miteinander war, gerade zur Nazizeit aber sehr dramatisch verlief.
Ein Dorf in der Nähe der Heimatstadt unserer Partnergruppe war im Zweiten Weltkrieg zur Vergeltung eines Anschlags auf einen SS-Offizier dem Erdboden gleichgemacht worden. Manche tschechischen Pfadi-Großeltern waren daher nicht gerade begeistert, dass ihre Enkel nach Deutschland fuhren.
Vielleicht bringt eine internationale Begegnung auch einen kleinen Beitrag zum Weltfrieden. Das wäre jedenfalls in B.P.s Sinne. Er zielte ja mit dem friedlichen Zusammenbringen von Jugendlichen aus aller Welt darauf ab, künftige Kriege und Konflikte zu vermeiden.

Dominik Speck

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